Wie sinnvoll ist es, dass die Politik im Kampf gegen die Klimaerwärmung Vorschriften zur eingesetzten Technologie macht? Eine rhetorische Frage, denn wie Wissenschaftler wie Christian Bach von der Empa erläutern, kommt es nicht auf die Art und Weise der Energienutzung an, sondern darauf, ob die genutzte Energie aus nachhaltiger Quelle stammt. Exemplarisch dafür sind die viel diskutierten Verbrenner-Verbote. Werden im Verbrennungsmotor nachhaltige Treibstoffe verwendet, ist das Fahrzeug umweltfreundlicher unterwegs als ein Elektrofahrzeug, das mit Kohlestromanteil geladen wird.
Saubere Sache
Nachhaltige Treibstoffe sind aber keine Zukunftsvision, sondern bereits heute grundsätzlich weitverbreitet. Ein Beispiel dafür ist HVO, Hydrotreated Vegetable Oils, zu Deutsch wasserstoffbehandelte Pflanzenöle. Seit über zehn Jahren entsteht aus gebrauchtem Speiseöl, aus tierischen Fetten der Lebensmittelindustrie und aus Rückständen der Zellstoffproduktion ein Hochleistungstreibstoff, der die strenge Norm DIN EN 15940 erfüllt und gegenüber herkömmlichem Diesel den CO2-Ausstoss um 85 bis 90 Prozent verringert. Diese Reduktion erstreckt sich über den gesamten Herstellungsprozess, inklusive der Verbrennung im Motorraum. Und der schwefellose Treibstoff verbrennt viel sauberer als Diesel, mit positiven Auswirkungen auf Stickoxide, Feinstaub/Russ und Geruch. Die Eigenschaften von HVO sind in der Fahrzeug- und Motorenbranche bekannt und praktisch alle Hersteller haben ihre Triebwerke ebenfalls rückwirkend für den Einsatz mit HVO freigegeben. Das heisst, HVO kann ohne zusätzliche Massnahmen mit jedem Dieselmotor genutzt werden. Das macht Schule. BMW zum Beispiel betankt Dieselautos im Werk für die Ablieferung mit HVO. Im Transportwesen wird bereits heute mit HVO der CO2-Fussabdruck verringert und diverse Strassentransporteure, aber auch die SBB, haben ihre firmeneigenen Tankstellen auf HVO umgerüstet, teilweise auf reinen HVO100, teilweise auf HVO-Blends (gemischt mit normalem Diesel). Dabei ist Umrüsten ein grosses Wort, denn grundsätzlich braucht es wie beim herkömmlichen Diesel einen Tank und eine Zapfsäule, spezielle Investitionen wie bei Ladestationen oder Wasserstoff sind keine nötig.
Bald mehr Tankstellen?
Gleichwohl fand HVO bislang im Bewusstsein einer breiten Schweizer Öffentlichkeit und in der Politik kaum Beachtung. Das hat damit zu tun, dass in der Schweiz – anders als im benachbarten Ausland – HVO an keiner Tankstelle einfach so getankt werden konnte. Einzig Kunden der Merbag war es möglich, in Schlieren HVO zu tanken. Das soll sich nun ändern. New Process Energies, Spezialtreibstoffanbieter aus dem thurgauischen Felben-Wellhausen, verkaufte HVO100 flächendeckend in der Deutschschweiz an Geschäftskunden. Seit November 2024 beliefert die Firma auch die Tankstelle von André König in Lyss, wo der umweltfreundliche Hochleistungstreibstoff 24/7 bezogen werden kann. An der offiziellen Eröffnung in Lyss am 1. Februar 2025 stellte Harald Klein, Geschäftsführer von New Process, die Belieferung weiterer öffentlicher Tankstellen in den nächsten Monaten in Aussicht.
In Europa ist HVO bereits viel präsenter als bei uns. In Deutschland beispielsweise wurde im vergangenen Jahr der freie Verkauf von HVO100 gesetzlich genehmigt und seither wächst das HVO100-Tankstellennetz stark an. In Europa kann an rund 14 000 Tankstellen HVO bezogen werden, 5000 davon bieten reinen HVO100 an. Noch fliessen die Schweizer Abfallprodukte in ausländische HVO-Kreisläufe, denn für die Schweiz wird der Umweltschutzdiesel aus zwei Raffinerien im Ausland bezogen. Das dürfte sich allerdings schon bald ändern, wenn die im Wallis geplante HVO-Raffinerie in ein, zwei Jahren in Betrieb gehen wird. Gemäss heutiger Information ist der dortige Treibstoff jedoch vor allem für den Einsatz in der Flugindustrie vorgesehen, als SAF, Sustainable Aviation Fuel, «nachhaltiger Flugtreibstoff».
Investition in Umweltschutz
HVO100 wird zwar auch als Umweltschutzdiesel bezeichnet, ist aber nicht zu vergleichen mit Biodiesel. Während bei Letzterem pflanzliche Rohstoffe, Stichwort: Landwirtschaftsflächen, benötigt werden, wird HVO aus Reststoffen und Abfallfetten hergestellt. Gemäss Harald Klein werden in vielen Raffinerien die Kapazitäten für HVO massiv ausgebaut und es wird nach weiteren, energetisch nutzbaren Grundstoffen für HVO geforscht. Entsprechend dürfte künftig auch bei grosser Nachfrage genügend HVO verfügbar sein.
Für Harald Klein ist klar, dass Umweltschutz nicht zum Nulltarif erhältlich ist. Heute liegt der Literpreis von HVO100 etwa 30 Rappen über dem herkömmlichen Diesel: «Hier liegt es an der Politik, für gleich lange Spiesse zu sorgen.» Zugleich streicht Klein hervor, dass man als Transportunternehmen und als Privatperson mit HVO100 ab sofort beinahe klimaneutral unterwegs ist, ohne dass weitere Investitionskosten in Fahrzeug und Infrastruktur nötig sind. Das kann beim Umstieg auf batterieelektrisch oder Brennstoffzelle nicht gesagt werden.
Text und Fotos: Martin Schatzmann
Weitere Infos: hvo-klimaschutz-diesel.ch