Auch die EU pickt Rosinen – Der Alptransitverkehr zeigt, wie doppelbödig das «vereinte» Europa ist

Wenn in der EU von der Schweiz die Rede ist, werden nicht nur die schönen Berge oder die pünktliche Eisenbahn genannt. Wir seien Rosinenpicker, weil wir nicht offizielles Mitglied des Gemeinschaftsprojekts namens EU, aber trotzdem Teil Europas sein wollen. Einfach nur mit den Vorteilen. Aus Europa kam kürzlich sogar die Botschaft, dass die Schweiz die Menschenrechte verletze, weil ihre Gerichte Klagen bezüglich Klimaschutz nicht zulassen würden. Nicht die EU, aber der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat so geurteilt, nachdem eine von Greenpeace orchestrierte Klage, getarnt als Anliegen von rührigen Seniorinnen, an den Gerichtshof gelangt war.

Wer wirklich für den Klimaschutz einsteht, hört und schaut bei solchen Dingen etwas genauer hin – und stellt fest, dass kein Gericht feststellen kann, wessen C02-Ausstoss nun genau für jene Erwärmung zuständig ist, die den Seniorinnen in der Schweiz zu schaffen macht. Dass sich Klimagase nicht an Landesgrenzen halten, spielt aber keine Rolle, wenn es um «Urteile mit Signalwirkung», also um reine Symbolpolitik geht. Dann sind grosse Worte und Aufmerksamkeit wichtig, es gewinnt die heisse Luft über den wirklichen Kampf gegen die Klimaerwärmung.

Dabei engagiert sich die Schweiz schon seit Jahrzehnten für ein europäisches und vertraglich vereinbartes Gemeinschaftsprojekt, das für die Umwelt und für das Klima sinnvoll wäre. Aber eben nur wäre. Die europäischen Nachbarn, allen voran Deutschland, haben sich in diesem Projekt noch nicht bewegt, während die Schweiz zig Milliarden investiert, Tunnels gebaut und eine Alpentransversale geschaffen hat, damit sehr viele Güter auf der Schiene von den Häfen an der Ostsee bis nach Italien transportiert werden könnten. Wenn es denn solche Güter gäbe. Sie können die NEAT gar nicht auf der Schiene erreichen, weil die Schienenkorridore in den Nachbarländern nicht bereit sind. In Deutschland ist in dieser Sache noch gar nichts passiert, und es sieht nicht so aus, als hätten unsere nördlichen Nachbarn überhaupt irgendein Interesse, sich an diese vertraglich festgehaltenen Pflichten zu erinnern. In Italien wurde der Ausbau der Zulaufstrecken zur NEAT in Angriff genommen, als die Schweiz Geld schickte. Das brachte Schweizer Verkehrspolitiker kürzlich auf eine Idee: Wenn das mit dem Geld in Italien klappte, könnte es ja auch in Frankreich funktionieren. Die Schweiz soll sich finanziell daran beteiligen, eine Zugstrecke durch Frankreich und Belgien auszubauen, damit man nicht auf das lethargische Deutschland warten muss und sich unsere Milliardeninvestitionen in ein eigentlich gemeinschaftliches Vorhaben doch noch gelohnt haben.

Nur machen, wenn jemand anders finanziell einspringt, oder gar nichts tun, obwohl es vereinbart ist? Die EU mag Rosinen offenbar auch, einfach auf ihre Weise. Wir sollten ihr in den Verhandlungen zum Rahmenabkommen nicht zu viele hinwerfen.

Text: Daniel von Känel