Im Juli 2022 ist Denise Flege von Reinach (AG) zu ihrem Mann, dem Trucker Joe Flege, nach Winnipeg in Kanada ausgewandert. «Mit 51 Jahren ein nicht ganz einfacher Schritt», sagt sie. «Aber ich wagte es, weil ich wusste, dass Joe mich immer unterstützt.» Hier schreibt sie über ihr neues Leben in Nordamerika.
Natürlich war es immer schon mein Wunsch, mit meinem Mann Joe mitzufahren. Dass es jedoch so lange dauern würde, hätte keiner gedacht. Nach 1,5 Jahren warten, bis die komplette Immigration abgeschlossen war, hatte ich dann endlich alle benötigten Papiere. Super, ich war happy!
28.11.2023: Der Tag vor der Tour
Viele Fragen hatte ich im Kopf. Kann ich so lange sitzen? Kann ich schlafen im Truck? Wie klappt das mit dem Duschen? Was muss ich alles in die Tasche einpacken? Diese Frage kennt wohl jede Frau. Ich wollte ja auch nicht den ganzen Haushalt mitschleppen. Joe hat nebenbei noch erwähnt, wie hoch das Gesamtgewicht sein darf. Natürlich musste ich lachen, so viel wollte ich ja dann doch nicht mitnehmen.
Da ich mir aber vorgängig eine Liste geschrieben hatte, klappte das ganz gut und ich war «ready» für den nächsten Morgen. Bison, Joes Auftraggeber, verlangte vorgängig noch ein Passenger waiver aus Versicherungsgründen. Geschlafen habe ich die letzte Nacht zu Hause nicht so gut, da ich ziemlich nervös und die Vorfreude echt gross war.
29.11.2023: Los gehts
Um 5 Uhr klingelte mein Wecker, damit ich noch genügend Zeit hatte, um einen Butterzopf und einen Kuchen zu backen. Ich backe immer für Joe, auch wenn er alleine unterwegs ist. Joe hatte extra für die erste gemeinsame Tour einen nicht so strengen Trip gebucht, damit wir die erste Zusammenfahrt quasi erstmal testen können. Um 8 Uhr waren wir bei Josie (dem Truck) in der Garage und Joe machte den Truck startklar mit der obligatorischen Abfahrtskontrolle. Im Bison Yard Winnipeg holten wir einen leeren Trailer und fuhren mit diesem zur Ladestelle in Oakbank, das etwas östlich von Winnipeg liegt. Die Beladung ging zügig und in einer Stunde konnten wir dort vom Hof rollen. Das Be- und Entladen wird hier übrigens ausschliesslich vom Lagerpersonal übernommen. Die Ladung Torf sollte zu einer Gärtnerei in Allendale/Michigan gehen.
Die Fahrt zur US-Grenze in Pembina / North Dakota dauerte rund zwei Stunden. Ich hielt schon meinen Schweizerpass und meine PR-Karte bereit und hoffte, dass ich gut über die Grenze komme. Joe zeigt unsere Ausweise und wir mussten anschliessend noch ins Office, um ein sogenanntes 3-monatiges I94 Visa zu bekommen. Von mir wurden die Fingerabdrücke gescannt sowie ein Foto gemacht. Meine ESTA (Einreisebewilligung für USA) hatte ich letztes Jahr erstellen lassen, als wir in Las Vegas noch einmal geheiratet hatten. Diese war also noch gültig. Der Officer teilte mir mit, dass diese abgelaufen sei. Ich erschrak dann schon ein bisschen, doch ein anderer Officer teilte mir nach Überprüfung mit, dass mein Jahrgang verkehrt im System stand. Ich war total verwirrt. Was jetzt, ungültig wegen falschem Jahrgang? Im Natel hatte ich sicherheitshalber noch eine Kopie, diese wollten die Herren dann aber doch nicht sehen. Ich war glücklich, Joe musste mich doch nicht stehen lassen an der Grenze.
Jetzt endlich war ich in den USA und sah die erste US-Flagge. Es fühlte sich herrlich an! Da einige kanadische Lebensmittel nicht über die Grenze eingeführt werden dürfen, fuhren wir zu einem Einkaufsladen und kauften für die nächsten Tage ein. Es war inzwischen schon Abend und dunkel. Auch hatten wir langsam grossen Hunger. Um 22 Uhr war Feierabend auf dem Truckstop Hasty. Sofort eilte ich hinter den Sitz zum Kühlschrank und bereitete das ersehnte Nachtessen für uns beide zu. Was man halt so als Nachtessen machen kann. Kreativität war gefragt. Es war ein langer Tag, ich war so k.o., als wäre ich selber gefahren. Josie wurde perfekt vor dem Truckstop geparkt, somit hatte ich nicht so weit für die Abend- und die Morgentoilette. Ich hatte mich schon lange nicht mehr so gefreut auf ein Bett wie an diesen Tag. Trotz meinen ü50 kam ich recht gut hoch in das obere Bett, was Joe das Kenworth Loft nannte, und fühlte mich sofort wohl in meiner kleine Suite. Herrlich, endlich konnte ich im Truck schlafen und schlief auch bald ein. Nebenbei hoffte ich, dass ich nachts nicht raus müsse, weil, so wie ich mich kenne, wäre das keineswegs leise über die Bühne gegangen und Joe wäre erwacht.
30.11.2023: Der zweite Tag
Es ging alles gut und Joes Natel weckte uns früh am Morgen. Tja, wer steht jetzt zuerst auf und macht sich bereit für den Tag? Beide können sich nicht anziehen vor den Betten, ohne sich in die Quere zu kommen. Joe stand dann auf und machte anschliessend Platz für mich. So habe ich mich angezogen und lief zum Truckstop rüber, um mich «anschaulich» zu machen. Mir war es wichtig, mich auch auf der Tour zu pflegen und so sein zu dürfen, wie ich immer war. Jetzt war es Zeit für ein gemütliches Frühstück mit meinem Zopf, Butter, gekochten Eiern, Konfitüre und Kaffee. Diesen hat Joe im Truck gekocht und in unsere Thermosflaschen abgefüllt. Auf dem aufklappbaren Tisch hinten im Sleeper habe ich alles vorbereitet und auf zwei Teller verteilt, um unnötige Krümel zu vermeiden.
Gegen 8 Uhr ging es wieder los und wir kamen gut durch den Berufsverkehr in Minneapolis. Nach rund 4 Stunden machten wir Pause in Tomah/Wisconsin. Da es zeitlich passte, genossen wir kurz unser Mittagessen in einem China Restaurant mit Buffet. Das war sehr lecker und wir haben diese warme Mahlzeit genossen. Kaum gegessen, sassen wir wieder in Josie und es ging nach Chicago weiter. Joe überlegte noch, ob wir vor oder nach Chicago duschen wollen. Da ich von ihm wusste, dass es dort sehr oft Stau hat, machte ich ihm den Vorschlag, durchzuziehen und Josie hinter dem Chicago-Chaos abzustellen, um dort dann wirklich Feierabend zu haben. Chicago war für mich echt schlimm, so viel Verkehr, überholen von rechts, vorne wieder einbiegen, kein Licht usw., mir standen echt die Nackenhaare hoch und ich fühlte mich nicht so wohl.
Als wir auf dem Truckstop in Benton Harbor / Michigan Josie abstellten, war ich dann auch wirklich froh. Jetzt endlich duschen, dachte ich. Wir packten die Taschen und liefen zur Kasse. Joe bestellte zwei Duschen, auf dem Bon sind jeweils die Duschnummern inklusive Tür-Code vermerkt, womit sich die entsprechende Türe auch öffnet. Eine Leuchttafel zeigte an, wie viele Personen noch vor uns auf eine Erfrischung warteten. Ich rechnete mir schon aus, wie lange wir noch warten müssen, denn es waren acht Leute vor uns und dort hatte es «nur» sechs Duschen. Mein Nervenkostüm war nicht mehr so stark, Joe blieb hingegen gelassen. Es ging halt nicht anders und so warteten wir im Korridor auf freie Duschen. Endlich wurden unsere Nummern angezeigt und Joe kam mit mir zur Dusche und erklärte mir das mit dem Code, auch dass ich die Türe nach dem Schliessen nicht mehr öffnen sollte, weil sie dann wieder freigeschaltet werden würde. Ich staunte nicht schlecht, als ich den Raum sah. Eine grosse Dusche, WC, Lavabo, grosser Spiegel inklusive gewaschene Tücher. Eines für den Boden, einen Waschlappen und ein grosses Duschtuch. Ich dachte nur wow, ich hätte mir das nicht so vorgestellt. Mir wurde bewusst, wie verwöhnt ich eigentlich bin. Wie selbstverständlich es ist, jeden Tag eine Dusche zu geniessen, ohne sich anzustellen zu müssen. Manchmal ist es gut, einmal etwas anderes zu sehen, damit man das Selbstverständliche wieder schätzen kann. Für uns hiess es dann bald: Gute Nacht.
1.12.2023: Der dritte Tag
Um 5.30 Uhr mussten wir aufstehen. Der Abladetermin beim Kunden in Allendale/Michigan war um 8 Uhr. Joe holte uns einen Kaffee im Truckstop und wir fuhren ohne Frühstück los. Ohne Essen geht, ohne Kaffee nicht. Als Joe zu dieser Gärtnerei auf den Platz fuhr, dachte ich, er ist sicher falsch. Wie soll hier so ein riesiger Truck an die Rampe fahren, mitten im Platz stand noch ein Baum. Leider war kein Mensch zu sehen, aber an der Türe war ein Zettel mit einer Telefonnummer. Gerade als Joe die Nummer wählen wollte, kam der Inhaber dieser Gärtnerei. Kurze Anweisung, und Joe fuhr ohne grosse Probleme an die Rampe. Der Mann war sehr nett und zeigte mir noch die Toilette, bevor er den Trailer entlud. Als der Torf ausgeladen war, fragte er, ob wir noch einen Besen benötigen, um den Trailer auszukehren. Diesen Service erhält man nicht überall. Seine Worte bei der Verabschiedung: «It was my pleasure» fanden wir dann auch sehr nett.
Die neue Ladung wartete auf uns in Detroit, bei einem grossen Automobilwerk, das hiess 300 km Leerfahrt. Diese Ladungen benötigen eine sogenannte FAST card (free and secure trade), die man nur mit PR (permanent resident) oder als Staatsbürger erhält, nach entsprechender Beantragung und Durchleuchtung seiner Person. Das Gute an diesen Ladungen ist, dass man keinen Zoll an der Grenze braucht. Joe freute sich, da es dort immer schnell vorwärts geht. Er stellte den leeren Trailer auf den vorgeschriebenen Platz und fuhr danach zum Office. Als wir da waren, war gerade Mittagszeit und ich nutzte die Chance, ein WC aufzusuchen. Joe zeigte mir das Örtchen und ich war froh, war er bei mir, da sich die Türe nicht abschliessen liess und es nur ein Männer-WC gab. Er musste quasi Wache stehen. Wieder zurück, holte er die Papiere und erfuhr so auch die Nummer des geladenen Trailers. Mithilfe der Bison App klickt man auf die Trailernummer und es öffnet sich Google Maps und zeigt einem auf 5 Meter genau an, wo der jeweilige Trailer geparkt ist. Das ist eine grosse Hilfe und spart die endlose Sucherei, da bei manchen Firmen Tausende von Aufliegern stehen. Alle Bison Trailer sind satellitenüberwacht. Das Gewicht der Ladung machte dann noch einmal Freude, 2000 kg, das ist quasi Leerfahrt. Maximales Gewicht der Ladung könnte 45 000 kg sein. Je leichter die Ladung, desto kleiner der Dieselverbrauch. Wir fuhren raus aus Detroit in Richtung Chicago und die Fahrzeit von elf Stunden reichte aus, um bis kurz vor Chicago zu kommen. So machten wir Feierabend in Lake Station / Indiana auf einen Flying J Truckstop. In Chicago selbst sollte man ohnehin eine Übernachtung vermeiden. Es war schwierig, einen geeigneten Platz zu finden, da viele Trucks schon dort waren. Leider war es unmöglich, vorne in der Nähe vom Truckstop zu parken, somit war unser Nachtlager im hinteren, dunkleren Teil des Riesenareals, wo es mir nicht so wohl war. Es gibt ja auch nicht so viele Frauen dort, oft wurde ich angestarrt und das fühlte sich nicht so toll an. Wir liefen zusammen zum Duschen und zum Restaurant und wieder zurück … ich wäre dort keinen Meter alleine gelaufen.
2.12.2023: Tag vier
Heute war es schon der vierte Tag, wo wir früh aufgestanden waren. Das ist normalerweise nicht Joes Zeit. Morgentoilette, Kaffee holen und los. Da wir bei der Hinfahrt Chicago umfahren hatten, fuhr er nun mit mir durch Chicago. Diese Hochhäuser waren sehr eindrucksvoll, die Skyway Toll Bridge war ja genial. Natürlich war die Brücke nicht kostenlos, aber für mich war es die absolute Freude, diese Brücke zu überqueren. Leben könnte ich da allerdings nie. Ich bin ein Landkind, aber das einmal zu sehen, war der Hammer.
Da wir so früh losfuhren, passte die Zeit wieder und wir besuchten «unseren» Chinesen erneut. Es war so lecker dort und ich hatte die Auswahl sehr genossen. Kosten für zwei Personen: in USD 35, in SFR 25. Auf dem Gelände befand sich auch ein Aldi und da der Käse in den USA günstiger ist als in Kanada, war es klar, dass wir noch einkaufen gingen. Ich war seit 1,5 Jahren in keinem Aldi mehr und was auffiel war, dass dieser hier echt schön und aufgeräumt war. Die Fahrt ging weiter bis nach Alexandria/Minnesota, wo wir Feierabend machten. Da wir früh aufbrachen, hatten wir dementsprechend auch wieder früh Schluss. Das sicherte einen Parkplatz und kein langes Anstehen für eine Dusche … wir konnten direkt hinein.
3.12.2023: Der letzte Tag
Um 5 Uhr wieder aufgestanden, Joe holte wieder den Kaffee und es ging Richtung Winnipeg in der Dunkelheit. Von hier aus sind es nur noch sechs Stunden bis Winnipeg. Plötzlich aufkommender Nebel machte die Sicht sehr schlecht, auch sahen wir, dass der Boden glitzerte. Die Temperatur lag um den Gefrierpunkt. Mir war nicht mehr so wohl, Dunkelheit, Nebel und Glatteis waren für mich keine gute Kombination. Aber wenn Engel reisen – plötzlich kam die Sonne dann doch noch. In Winnipeg hat Joe den Trailer im Bison Yard abgestellt. Von dort aus ging es zu seiner Garage, wo Josie eingestellt wurde. Die Halle ist beheizt, was sehr wichtig ist, da es in den langen Wintermonaten Temperaturen von minus 30 und mehr hat. Winnipeg zählt zu den kältesten Grossstädten der Welt. Ich machte anschliessend noch die Innenreinigung im Truck, da es zu zweit trotz aufpassen doch den einen oder anderen Kuchenkrümel gab.
Für mich waren es sehr interessante Tage, unterwegs in Kanada und den USA. Was ich sehr schätzte, jede Toilette in den USA war sehr sauber, sei es auf einem Rastplatz oder in einem Restaurant. Auch muss man nie eine Gebühr für die WC-Benutzung zahlen. Ich habe so viel erlebt, gesehen und genossen in diesen Tagen wie schon lange nicht mehr. Auch bekam ich einen Einblick in die Arbeit von einem Trucker. Es steckt viel mehr dahinter als «nur» fahren. Für mich ist das ein Knochenjob, den man nicht unterschätzen darf. Hut ab und ein Dankeschön für jeden Trucker, ohne euch hätten wir nichts!
Text und Fotos: Denise Flege