Fleiss oder Übereifer? Fürsorgepflicht vor Gericht

Recht Ausgabe-03-2024

Fleiss ist eine Tugend. Doch selbst den Besten wird es irgendwann zu viel. Oftmals ist eine lange Krankschreibung die Folge von zu viel Arbeit. Doch wer seinen Arbeitgeber in die Verantwortung ziehen will, muss sich wehren. 

Während das Arbeitsgesetz und die ARV1 relativ klare Spielregeln für die zeitliche Arbeitsbelastung vorsehen, ist die Belastungsgrenze bezüglich Menge an Aufträgen und körperlicher Belastung individuell und oft unklar. Der Arbeitgeber muss darauf Rücksicht nehmen. Das verlangt die Fürsorgepflicht. Genau mit dieser Pflicht hat sich das Verwaltungsgericht Zürich kürzlich befasst.

Zum Vertrauensarzt geschickt

Der Arbeitnehmer arbeitete 11 Jahre bei seinem Arbeitgeber. Danach erkrankte er. Der Arbeitgeber war der Ansicht, dass der Arbeitnehmer zu 50 % arbeiten könnte und schickte den Arbeitnehmer zum Vertrauensarzt. Dieser bestätigte die Arbeitsfähigkeit zu 50 %. Der Arbeitnehmer empfand diese Aufforderung als rechtswidrig und verlangte Schadensersatz und Genugtuung. Strittig war insbesondere, ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Arbeitsbelastung zumutete, die zu seiner Erkrankung führte. Das Verwaltungsgericht hielt hierzu fest, dass nicht jede gesundheitliche Beeinträchtigung aufgrund einer Stresssituation am Arbeitsplatz eine Fürsorgepflichtverletzung des Arbeitgebers darstelle. Dass gewisse Berufe eine erhöhte psychische oder physische Belastung mit sich bringen, sei dem Arbeitgeber nicht anzulasten. Zudem sei ein übertriebener Arbeitseifer seitens des Arbeitnehmers ebenfalls zu beachten.

Keine Überstunden belegt

Im konkreten Fall war die Arbeitsbelastung hoch, der Arbeitnehmer erledigte diese Arbeitsbelastung jedoch ohne gross Überstunden oder Überzeit anzuhäufen. Auch seine Ferien konnte er jeweils beziehen. Der Arbeitnehmer machte geltend, er habe sich nicht getraut, Überstunden aufzuschreiben, weil er befürchtete, dies könnte negative Folgen für ihn haben. Das liess das Verwaltungsgericht nicht gelten. Das Verwaltungsgericht führte aus, dass der Arbeitnehmer eine Pflicht habe, Mängel in der Arbeitsorganisation, soweit möglich, selbst zu beheben und ansonsten den Arbeitgeber zur Behebung aufzufordern bzw. die Überbelastung zu melden.

«Belastung wegen Arbeitseifer»

Das Verwaltungsgericht teilte damit die Ansicht des Arbeitgebers. Der Arbeitnehmer konnte vor Gericht nicht darlegen, wann er die behauptete Überlastung gegenüber dem Arbeitgeber geltend gemacht habe. Weiter hielt es fest, dass die Belastung vor allem durch den Arbeitseifer des Arbeitnehmers entstanden war. Damit habe der Arbeitgeber seine Fürsorgepflicht nicht verletzt.

Schriftlich an Arbeitgeber wenden

Das Urteil betraf zwar ein öffentlich-rechtliches Anstellungsverhältnis, jedoch lassen sich daraus auch für privatrechtliche Anstellungsverhältnisse Schlüsse ziehen. Steigt die Arbeitsbelastung immer mehr an, sollte man sich schriftlich und nachweisbar an den Arbeitgeber wenden. Eine Lösung kann beispielsweise sein, weitere Personen einzustellen. Arbeitszeiten sollten nicht nur wegen der ARV1 genau und korrekt erfasst werden. Werden Überstunden aus einem falschen Pflichtbewusstsein nicht aufgeschrieben, kann man sich im Nachhinein auch nicht mehr darauf berufen. Fleiss ist zweifellos eine Tugend. Allerdings sollte man sich nicht bis in die Arbeitsunfähigkeit hineinarbeiten, ohne den Arbeitgeber darauf hinzuweisen, dass die Arbeitsbelastung auf lange Sicht so nicht machbar ist.

Der Lohn für grossen Arbeitseifer und kaum Überstunden war in diesem Fall eine abgewiesene Klage. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts wurde vor Bundesgericht angefochten und ist dementsprechend noch nicht rechtskräftig.

Text: Michel Magnin

Zeichnung: Trinco